*IDENTITY*
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Ralf Zimmermann/2O19
Heraklid wird der Ausspruch zugeschrieben: ‘Wir steigen in denselben Fluß und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.’ Die Übereinstimmung mit anderen Menschen macht uns zu einer unverwechselbaren Person. Die Zugehörigkeit zu Gleichgesinnten schafft eine Gemeinschaft, eine GruppenIdentität. Möglich wird das durch Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen oder Personen.
Die Frage: Wie ernähre ich mich?^1 macht das anschaulich deutlich. Auf der einen Seite stehen Menschen, die alles essen was sie verstoffwechseln können (abzüglich von dem Essen, das sie nicht mögen oder gesundheitlich nicht vertragen). Dem gegenüber stehen Menschen, die bestimmte Dinge nicht zu sich nehmen, weil ethische Gründe, oder auch religöse Vorschriften das verhindern.
Das ist das gängige Narrativ. Selbstverständlich ist das kompletter Blödsinn.
Omnivoren gibt es schlicht nicht. Unsere Essgewohnheiten sind sozial erlernt, und JEDE Gemeinschaft hat Regeln dafür aufgestellt, was auf den Tisch kommt, oder eben gerade NICHT. Menschenfleisch zu essen ist eine extreme Ausnahme, zu der die meisten Menschen nur in grösster Not in der Lage sind. Das ist keine Übertreibung.
Kein Mensch wird einem anderen Menschen vorwerfen, dass er lieber auf Meschenfleisch verzichtet. Wenn aber beispielsweise Schweinefleisch ein Tabu ist, hat das den ‘verwerflichen’ Grund, dass eine Religion das vorschreibt. Andere Religionen verbieten den Verzehr anderer Tiere — oft aus fadenscheinigen Gründen, aber darum geht es nicht.
Bestimmte Sachen NICHT zu essen stellt also eine GruppenIdentität her. Und das ist problematisch. Wer je erlebt hat, wie sich ein Flexitarier und eine Veganerin an die Kehle gehen (gut, das ist übertrieben), weiss wovon ich rede. Beide grenzen sich voneinander ab, um ihre GruppenIdentität zu verteidigen. Dabei lässt sich der Zwist beliebig erweitern: Es gibt unendlich viele Gründe bestimmte Sachen NICHT zu essen und mindestens genausoviele Gründe das doof, kriminell, fundamentalistisch, unethisch etc. zu finden.
Egal wie man es dreht & wendet — es bleibt gleich. Ob ich Jemande(n) verurteile ETWAS zu essen, oder etwas NICHT zu essen, spielt keine Rolle. Gegen die Verurteilung wird die Person sich wehren. Das endlose Spiel, wer Täter, wer Opfer ^3 ist, beginnt jedesmal von neuem, wenn Essen oder NichtEssen in Frage gestellt wird.
Zurück zum Ausgangspunkt. Identität ist oft unsichtbar, besonders die eigene. Jede® schleppt eine unübersichtliche Menge an Identitäten mit sich rum, die UNENTDECKT oft Schaden, Unmut, Stress und Agressionen etc. verursachen, weil wir uns dessen nicht bewusst sind.
Wir sind alle nur Menschen ^2 die irgendwas Essen oder NICHT essen. Punkt. (.)
^1 ‘Wenn es die Wahrheit beschreibt, so straft diese Wahrheit fast das gesamte zeitgenössische Wissen Lügen. Wenn es lügt, tut es dies in einem monströsen Ausmaß’ LEM/1976/Imaginäre Grösse
^2 ‘Wir sind die erste Generation, in welcher das Feld der früheren Ausbeutung, die Natur, ernstlich zurückwirkt auf die Ausbeuter selbst, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß wir schonender ausbeuten müssen, solches ist schon früher vorgekommen, sondern daß die absoluten Grenzen der Ausbeutung selbst in Sichtweite kommen und damit die Gesellschaft verändern.’ Lucius Burckhardt/1990/Ästhetik und Ökologie
^3 ‘Auch das Sich-Opfern ist eine Tat und kein Schicksal’ Frigga Haug/1981/Frauen — Opfer oder Täter?
Credits: Fotos/ Zimmermann, MALEREI / GRAPHIK / OBJEKT > www.zeleztik.com
Kuration: Mit freundlicher Unterstützung von SchönRaum
KUNST im Schaufenster/ November 2019
Finissage am 02.12.2019, 17:00 Uhr